Der Abbau des Sozialstaates findet einen immer stärkeren Niederschlag auch in der Bildungspolitik. Bildungschancen werden auf diese Weise wieder zum Privileg und dienen - mehr als dies in den letzten 25 Jahren der Fall war - in ihrer ungleichen Zuteilung der Festigung sozialer Hierarchien. Jüngste Beispiele hierfür sind zum einen die Diskussion um die Reform des BAföG, deren oberste Prämisse nicht eine wirksame (Aus)Bildungsförderung ist, sondern das Sparen ausgerechnet bei den Studierenden aus unteren Einkommensschichten, und zum anderen — noch makaberer — die derzeit von verschiedener Seite vorangetriebene Einführung von Studiengebühren.
Die Koppelung von Studien- und Ausbildungsförderung, Finanzierung von Lehre, Forschung und Hochschulausbau ist nicht zu akzeptieren; dieses Paket muß aufgeschnürt werden. Hier sollen berufliche und akademische Bildung, sowie Lehrende, Forschende und Studierende gegeneinander ausgespielt werden.
Der dreist-zynische Charakter dieser Planungen von Bund, Ländern, Parteien und HochschulrektorInnen ist nur vor einem Hintergrund erklärbar, der von der Defensive der sozialstaatlich orientierten Kräfte geprägt ist. Der ursprüngliche Grundgedanke einer Verbindung von Bildungspolitik mit der Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit, wie er etwa für die Bildungsreformen der 70er Jahre prägend war, ist in einer von ,,Standortsicherung” bestimmten politischen Öffentlichkeit weitgehend an den Rand gedrängt. Eine schlüssige, offensiv vertretene bildungspolitische Gesamtalternative zur derzeit quer durch das Parteienspektrum vorherrschenden Deregulierungspolitik ist nicht sichtbar.
In dieser Situation setzt sich die Konferenz der deutschsprachigen Mathematikfachschaften (KoMa) für die Reform einer sozialstaatlichen und auf Chancenausgleich ausgerichteten Ausbildungsfinanzierung ein: Wir fordern im Sinne der nachfolgend entwickelten Argumente und Vorschläge eine stärkere Integration und Durchlässigkeit von wissenschaftlicher und beruflicher Bildung, eine Ausbildungsförderung als Zuschuß im Rahmen der Wiederherstellung der allgemeinpolitischen Zielsetzungen von Chancengleichheit und sozialer Öffnung der Hochschulen. Ohne Chancengleichheit in Bildung und Beruf wird es keine offene, demokratische und gerechte Gesellschaft geben.
#####Bedarfsgerechte und elternunabhängige Studienfinanzierung als Zuschuß. #####Keine Studiengebühren.
Da das BAföG in seiner gegenwärtigen Form immer weiter hinter seine ursprüngliche Intention des Ausgleichs sozial bedingter ungleicher Bildungschancen zurückfällt, tritt die KoMa für eine sozialstaatlich orientierte Reform der Studienfinanzierung ein, die sich an folgenden Prinzipien orientiert:
Bildung und Ausbildung müssen zuallererst als Vorgang individueller und gesellschaftlicher Emanzipation betrachtet werden - und nicht primär als ökonomischer Standortfaktor. Bildungsfinanzierung ist daher als gesellschaftliche Aufgabe grundsätzlich Verpflichtung des Staates.
Chancengleichheit muß Ziel der Ausbildungsförderung bleiben. Die Förderung muß grundsätzlich als Zuschuß erfolgen **und** soziale Ungleichheiten, welche die individuelle Bildungsentscheidung beeinflussen, positiv ausgleichen.
Akademische und nicht-akademische (Berufs-)Bildung müssen als gleichwertig akzeptiert, real gleichgestellt und grundsätzlich gleichberechtigt gefördert werden.
Die notwendigen Mittel zur Reform der individuellen Studienfinanzierung sind vorhanden:
Zumindest ein elternunabhängiger Sockelbetrag kann, einen entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, bereits durch eine bloße Umverteilung des aktuellen Volumens der elternhausbezogenen staatlichen Sonderleistungen und Steuerfreistellungen für Kinder in der Ausbildung allen Studierenden als Zuschuß ausgezahlt werden.
Eine sozialstaatliche Lösung des Problems kann jedoch nicht ,,kostenneutral'' sein. Das finanzielle Volumen muß allein deswegen erhöht werden, um den Umfang der Förderbeträge, ihre zeitliche Dauer und den Kreis der Geförderten den gesellschaftlichen Realitäten anzupassen.
Ein Spielraum ergibt sich schon aus dem Verzicht auf gesellschaftlich unsinnige Großprojekte (beispielsweise Eurofighter und Transrapid).
Mittelfristig ist eine stärkere sozial orientierte Schwerpunktsetzung der öffentlichen Bildungs- und Wissenschaftsausgaben erforderlich. Eine reformierte Ausbildungsförderung muß sich perspektivisch in ein Modell einer bedarfsgerechten sozialen Mindest- oder Grundsicherung einfügen.
Studiengebühren in jeglicher Form — ob sie nun Einschreibegebühren (wie in Berlin und Niedersachsen vorgesehen) oder Bildungsgutscheine (wie in Baden-Württemberg) heißen oder ob sie offen eingeführt werden (wie dies der bildungspolitische Sprecher der SPD, Glotz, und jetzt auch die FinanzministerInnen der Länder fordern) — darf es nicht geben. Ihre Einführung ist weder sozialverträglich möglich, noch gibt es irgendeine Garantie dafür, daß der Staat sie nicht zum Anlaß nimmt, sich aus der Hochschulfinanzierung zurückzuziehen (womit wiederum der Anspruch an deren gesellschaftliche Nützlichkeit endgültig preisgegeben würde).
Nur eine nicht rückzahlbare Zuschußförderung kann einen Beitrag zum sozialen Chancenausgleich leisten. Jede Form der Refinanzierung durch die Geförderten ist daher abzulehnen. Derartige Modelle reproduzieren sozialstrukturelle Ungleichheiten und wirken folglich anti-emanzipatorisch. Der demotivierende Einfluß der bei darlehensförmiger Studienfinanzierung zu erwartenden Schulden auf die Studienentscheidung ist empirisch belegt: Mit der erstmaligen Einführung des BAföG als Zuschuß verdoppelte sich der Studierendenanteil aus sog. ,,bildungsfernen” Schichten binnen weniger Jahre. Dieser Anteil halbierte sich hingegen - im Widerspruch zur relativ gleichbleibenden sozialen Schichtung der Bevölkerung. - nach der Umstellung auf Darlehensförderung 1982. Besonders für Frauen, ,,Arbeiterkinder” und MigrantInnen spielen familiäre Wertorientierungen und Moralvorstellungen (keine Schulden machen!) eine prägende Rolle bei der Bildungsentscheidung. Die von der Bundesregierung geplante BAföG-Verzinsung ist also auf jeden Fall eine Verschlimmerung.
Auch das von den Grünen favorisierte BAFF-Modell ist nicht tauglich: Da sich voraussichtlich gerade die begüterten Studierenden mit guten Karriereaussichten (die mehr zurückzahlen würden, als sie erhalten haben) hüten werden, eine Förderung aus dem vorgesehenen Fonds in Anspruch zu nehmen, ist es abzusehen, daß sich der Fonds nicht auch nur annähernd trägt; Leidtragende wären die Studierenden aus den unteren und mitleren Einkommenschichten, die zur Zwangssolidarität verpflichtet wären. Außerdem wäre hier — ebenso wie beim Rüttgers-Modell — Studienfinanzierung allein eine Angelegenheit der ehemals Geförderten; damit würde Hochschule nur noch als Einrichtung zur Erlangung von individuellen Karrierevorteilen gesehen. (Daß dies heute weitgehend der Fall ist, darf kein Grund sein, sich vom Anspruch eines gesamtgesellschaftlichen Nutzens der Hochschulen und des dort erarbeiteten Wissens zu verabschieden.)
Bis zur Einführung einer allgemeinen sozialen Mindest- oder Grundsicherung sollte eine bedarfsgerechte Studienfinanzierung folglich als Zuschuß ausgezahlt werden. Dieser könnte sich aus einem elternunabhängigen Sockelbetrag (für alle Studierenden) und einer (familien-) einkommensabhängigen Zusatzförderung nach dem Modell des ursprünglichen BAföGs zusammensetzen. Der elternunabhängige Sockelbetrag in Höhe von ca. 500,- DM sollte sich aus einer Umverteilung aller ausbildungsbedingten direkten und indirekten Sozialtransfers (z.B. Kindergeld, Kindergeldzuschuß, Steuerfreibeträge), welche bisher an die Elternhäuser ausgezahlt wurden, ergeben.
Das von den Ländern vorgeschlagene 3-Körbe-Modell beruht zwar auf diesem Ansatz, ist aber völlig unzureichend. Die vorgesehenen 1000,- DM reichen nur bedingt zum Lebensunterhalt aus. Vor allem aber erzeugt die zeitliche Abfolge der Finanzierungsarten (Zuschuß, zinsloses Darlehen, verzinster Kredit) bei diesem Modell einen massiven Druck in Richtung kürzerer Studienzeiten. Dies macht — zusammen mit den zu festen Zeiten vorgesehenen Leistungsnachweisen — jeden Freiraum für ein selbstbestimmtes Studium zunichte und ist daher abzulehnen.
(beschlossen auf der KoMa 38, [32 n.P.] in Clausthal)